Einen solchen überwältigenden Empfang hatten die 20 Schülerinnen und Schüler vom Alten Gymnasium Oldenburg beim Besuch der Partnerschule in Xi’an nicht erwartet. Kaum hatten sie das Schulgelände betreten, ertönte ein Schulorchester und ungeduldige Gasteltern mit ihren Kindern nahmen die deutschen Austauschschüler mit großen Blumensträußen in Empfang. Selbst die Pausenglocke spielte ein deutsches Volkslied, während hunderte von Schülerinnen und Schüler der Highschool 89 in Xi’an aus der Entfernung winkten. Stolz stellte der Schulleiter Herr Ly der auf über 8.000 Schülerinnen und Schüler gewachsenen Schule fest, dass das Alte Gymnasium Oldenburg die erste Schule sei, die die Schulpartnerschaft nach Corona wieder aufleben lasse. Entsprechend groß war das Interesse an den ausländischen Besuchern.
Begonnen hatte die Studienfahrt mit einem Schrecken. Drei Tage vor Flugbeginn sagte die Lufthansa den Flug aufgrund eines Streiks des Bodenpersonals ab. Die Fahrt konnte erst zwei Tage später mit einer anderen Fluggesellschaft erfolgen. Dadurch fiel der Aufenthalt in Schanghai, dem ersten Besuchspunkt, und auch der spätere Aufenthalt in Xi’an kürzer aus. Für den Wahlpflichtkurs „Wirtschaft-China“ lag ein Besuch beim „German Centre Shanghai“ nahe. Diese stellt eine Markteintrittsplattform für klein- und mittelständische deutsche Unternehmen in China dar. Viele der mehr als 8.000 deutschen Unternehmen haben davon bisher Gebrauch gemacht. Das German Center bietet auch den Studenten der Universitäten in Schanghai und berufserfahrenen Bewerbern die Möglichkeit, sich im Rahmen von „Sino-German JobFair“- Messen über mögliche berufliche Perspektiven in ortsansässigen deutschen Firmen zu informieren.
Peter Hergemöller, Vize-Präsident des „German Center“, betonte in seinem engagierten Vortrag, dass mehr als 80 Prozent der deutschen Firmen in China aus dem Mittelstand kämen. Er verwies auch darauf, dass sich die Machtverhältnisse auf den internationalen Märkten in den letzten Jahren weltweit immer mehr in Richtung Asien verschoben hätten und sich Deutschland den neuen Herausforderungen stellen müsse. Dabei übte er auch Kritik an ein zu verkürztes Bild über China in den deutschen Medien und ermunterte die interessiert zuhörenden Jugendlichen, sich ein eigenes Bild vom Land zu machen. Daran erinnern auch die Worte des Philosophen Konfuzius: „Einmal sehen ist besser als 1000mal hören“.
Nach einer kurzen Stadtbesichtigung mit einer traditionellen Teezeremonie reiste die Oldenburger Gruppe weiter in das über 1500 km landeinwärts liegende Xi’an.
Die Xi’an Highschool 89 zählt zu den besten der 11-Millionen-Metropole und bietet das Sprachdiplom DSD I seit 2010 an. Bisher haben aus den zurückliegenden Jahrgängen über 200 Schülerinnen und Schüler mit dem Sprachdiplom in der Tasche ein Studium in Deutschland aufgenommen. Aufgrund der hohen Jugendarbeitslosigkeit wächst die Zahl der an der deutschen Sprache interessierten Schülerinnen und Schüler. Aktuell nehmen über 130 Prüflinge am achtstündigen Deutschunterricht teil, der von den Lernenden nur in Ergänzung zu dem schon eh vollgepackten Stundenplan besucht wird.
In den folgenden Tagen nahmen die Oldenburger Schülerinnen und Schüler zusammen mit den mitreisenden Lehrkräften Silke Genzen, Saskia Rolle und Ludger Hillmann am Unterricht teil. Die Gäste waren von der Aufgeschlossenheit und Wissbegierde der Schülerinnen und Schüler beeindruckt, die trotz eines sehr langen Schultages und Klassengrößen von über 60 Jugendlichen nicht eingeschränkt schien. Im Gegenteil, die chinesischen Jugendlichen ließen keine Gelegenheit ungenutzt, um den deutschen Mitschülern ihre Kenntnisse zu präsentieren und sich dafür feiern zu lassen. Der gegenseitige Respekt und Einfühlungsvermögen prägten dabei den Unterrichtsstil.
Angesichts der geringen Freizeit der Gastschüler war es umso erstaunlicher, mit welch einer Gastfreundschaft die Schüler aus Deutschland betreut wurden. Keine Familie ließ es sich nehmen, dem westlichen Besuch die alte Stadtmauer, den moslemischen Markt am Endpunkt der Seidenstraße, den Glockenturm sowie die vielfältigen kulinarischen Einrichtungen zu zeigen. Besonders beeindruckend empfanden die ausländischen Gäste den Besuch der vor genau 50 Jahren entdeckten Terrakotta-Armee. Anklang fanden auch Modeschauen in chinesischer Han-Kleidung, die auch als Hanfu oder schlicht als chinesische Seiden-Robe bezeichnet wird. Der Hanfu war die historische Kleidung der Han-Chinesen während eines großen Teils der chinesischen Geschichte und wurde insbesondere in den Jahrhunderten vor der Eroberung durch die Mandschus und der und der Errichtung der Qing-Dynastie (1644) getragen. Der aktuelle Staatspräsident Xi ermutigte seine Bürger ausdrücklich im Tragen dieser Kleidung. Entsprechend häufig traf man Menschen im Hanfu an.
Am Sonntag führte die Studienfahrt von Xi’an ins 1.300 km nördlich liegende Peking. Diesmal mit der Hochgeschwindigkeitsbahn, die über die gesamte Strecke aufgeständert ist. Die Bahnhöfe in Xi’an und Peking muten mit ihren Kontrollen und der Sauberkeit eher wie westliche Flughäfen an. In Peking standen der Besuch der „Großen Mauer“, der Künstlerkolonie „798-Art-Zone“, einer einzigartigen Kunstszene auf dem stillgelegten militärischen Fabrikgelände aus den 50er Jahren, des Himmels- und des Lama-Tempels sowie das Konfuziusmuseum an.
Da in der Besucherzeit das Frühlingsfest in China gefeiert wurde, war die Stadt besonders stark mit Drachensymbolen geschmückt. Zu spüren bekamen die deutschen Schülerinnen und Schüler dies auf dem Platz des himmlischen Friedens, wo im gleichen Jahr, als in Deutschland die Mauer fiel, tausende chinesische Studenten gegen die Alleinherrschaft der Regierung protestierten.
Der Besuch der Oldenburger Schülerinnen und Schüler ist wesentlicher Bestandteil des am 14.07.2015 von den Schulleitern beider Schulen unterzeichneten Kooperationsvertrages (die NWZ berichtete). Die Kooperation ist auch Bestandteil des 2007 ins Leben gerufenen China-Initiative der Stadt Oldenburg, die nach den wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Austauschprojekten nun um die Bildungsprojekte erweitert wurde. Die Stadt fördert deshalb auch dieses Austauschprogramm. Im August planen die Schülerinnen und Schüler aus Xi’an einen Gegenbesuch in Oldenburg.
Über die Studienfahrt betonte Ludger Hillmann, dass die vielfältigen Erfahrungen und Erlebnisse helfen, vorgefertigte Meinungen und verfestigten Vorstellungen über das Land in ein anderes Licht stellen und die China-Kompetenz zu fördern. So heißt es: „Nach zwei Wochen in China kann man ein Buch schreiben. Nach zwei Monaten nur noch einen Artikel und nach zwei Jahren gar nichts mehr.“